"Junger Chor mit langer Tradition"

Die Jugendkantorei aus Esslingen wird 75 Jahre alt

Die Jugendkantorei an der Evangelischen Stadtkirche Esslingen ist ein junger Chor mit langer Tradition. In diesem Jahr wird er 75 Jahre alt. Der Corona-Pandemie geschuldet kann das Jubiläum erst im nächsten Jahr richtig gefeiert werden. 

1946 rief der damalige Kantor der Stadtkirche und Gründer der zu dieser Zeit in Esslingen angesiedelten Hochschule für Kirchenmusik, Hans Arnold Metzger, die Jugendkantorei ins Leben. 1967 übergab er die Chorleitung an Werner Schrade. Die Jugendkantorei hatte bald großen Zulauf: „In den 1960er Jahren bestand sie aus bis zu 80 jungen Leuten, so dass zeitweise keine Neuaufnahmen möglich waren“, weiß Kirchenmusikdirektor Uwe Schüssler, der als Kantor der Stadtkirche seit 1989 den jungen Chor leitet. Aktuell sieht das anders aus. Vor Corona bestand er stabil aus rund 35 Sängerinnen und Sängern im Alter zwischen 14 und 30 Jahren. Sie kommen aus Esslingen, aber auch umliegenden Städten und Gemeinden. Als nun die ersten Proben wieder möglich waren, zählte Schüssler nur noch rund 20 Chormitglieder. Er möchte deshalb weitere junge Menschen ab 14 Jahre für die Jugendkantorei gewinnen. Denn nach den Sommerferien wolle man wieder durchstarten. Aufnahmebedingungen gebe es keine, die Lust am Singen genüge. Die musikalische Leistung stehe nicht an erster Stelle, betont der Chorleiter. „Einfach ausprobieren. Singen kann eigentlich jeder“, ist Schüssler überzeugt. Außerdem gibt es regelmäßige Stimmbildung.

Musikalisch hat die Jugendkantorei eine große stilistische Bandbreite. Sie reicht von geistlicher Chormusik aller Epochen und Stile über neuere Kirchenmusik bis hin zu Pop, Jazz und Folk. Auch an Musicals und Opern wagt sich der Chor zuweilen. „Ich versuche das Programm möglichst abwechslungsreich zu gestalten“, erklärt Schüssler. Musikalisch anspruchsvollen Werken wie das Requiem von Mozart, das für ein Konzert im November einstudiert wird, setzt er auch leichtere Stücke entgegen. „Stilistisch sind wir sehr offen“, sagt der Kirchenmusiker. 

Die Jugendkantorei trifft sich wöchentlich am Freitag zur Probe. Doch auch außerhalb der Musik ist der Zusammenhalt sehr groß. Das war schon früher so, weiß Schüssler. Gemeinsam geht es zu Ausflügen, Radtouren, zum Fußballspielen oder Schwimmen. „Die Gruppendynamik bei diesen gemeinschaftlichen Aktivitäten, bei denen ganz unterschiedliche Altersstufen zusammenkommen, ist sehr lebendig“, hat er beobachtet. Die freundschaftliche Verbundenheit unter den Chormitgliedern mündete nicht selten in Ehen. 

„Viele der Sänger bleiben nach dem Schulabschluss in der Region und dann meist auch der Jugendkantorei treu“, freut sich Schüssler. Der Chor versteht sich als integrativer Ort: „Hier finden auch junge Leute eine Heimat, die es im Leben schwer haben“ betont der Chorleiter.

Auch Ehemalige, die längst nicht mehr in der Jugendkantorei singen und teilweise in der ganzen Welt verstreut sind, fühlen sich dem Chor verbunden und kommen immer wieder zu gemeinsamen Treffen oder Auftritten. Ein solcher Fixpunkt, an dem stets auch Ehemalige teilnehmen, ist die Aufführung des „Quempas“, eines mittelalterlichen Weihnachtslieds, das in der Esslinger Stadtkirche seit 1946 an Heilig Abend von Kinderchor, Kurrende und Jugendkantorei gesungen wird. 

Auch zum Jubiläumsfest 2022 erwartet Schüssler zahlreiche Ehemalige. Manch einer, der einst in der Jugendkantorei sang, hat sich später musikalisch einen Namen gemacht. Zu ihnen gehört der Opern- und Konzertsänger Cornelius Hauptmann. Auch begabte Instrumentalisten sind unter den Sängerinnen und Sängern. Sie beteiligen sich manchmal als Solisten.

Viele der Sängerinnen und Sänger beginnen schon im Kinderchor der Stadtkirche, wechseln dann altersgerecht in die Kurrende, um schließlich in der Jugendkantorei zu singen. Wer dafür zu alt ist, findet in der Kantorei eine musikalische Heimat. Nicht selten treten Jugendkantorei und Kantorei auch gemeinsam auf. Etwa, wenn Oratorien aufgeführt werden. Regelmäßig tritt die Jugendkantorei in den Gottesdiensten in Esslingen und anderen Gemeinden des Evangelischen Kirchenbezirks auf. Auch in der Stunde der Kirchenmusik in der Stadtkirche ist der Chor zu hören.

Zu den Höhepunkten gehören Probewochenenden und Chorfahrten unter anderem auf die Schwäbische Alb. Alle zwei Jahre geht es nach Norditalien ins  Piemont, wo konzentriert geprobt wird. In kleinen Kirchen vor Ort gibt der Chor dann Konzerte. Große Reisen führten die Jugendkantorei unter anderem nach Malaysia, China und Hongkong. Dann gehe es neben der Musik auch um den kulturellen Austausch, erklärt Schüssler. „Viele Aktivitäten sind allerdings nur durch Spenden möglich“, betont er. Eine für letztes Jahr geplante Konzertreise nach Indien musste wegen Corona verschoben werden. 

(Ulrike Rapp-Hirrlinger)
i.A. evangelischer Kirchenbezirk Esslingen - 18.08.2021